Die große Klammer

Im vorangegangenen Kapitel unserer Reihe ‚Projekt- und Prozessmanagement‘ haben wir uns darüber unterhalten, warum Sie die beiden Themenfelder immer klar voneinander trennen sollten. Denn wenn Sie Ihrem Projektmanager zusätzlich die Aufgaben eines Prozessmanagers aufbürden oder einen Ihrer Prozessmanager von heute auf morgen zum Projektmanager berufen, zieht das negative Konsequenzen nach sich. Als kurze Erinnerung: Sie verbrennen Ressourcen, belasten unnötig Ihre Mitarbeiter und setzen Ihre Manager in Gebieten ein, in denen es ihnen meist an Expertise fehlt.

Allerdings: Trotz dieser dringend angeratenen Segregation stehen Projekt und Prozess in einer engen Beziehung zueinander. Und wie in jeder guten Beziehung kann es nicht nur Unterschiede geben; auch Gemeinsamkeiten müssen existieren. Ansonsten wäre die ganze Geschichte von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Deshalb wollen wir uns in diesem Kapitel mit der Frage beschäftigen, wie Prozess und Projekt schlussendlich doch zueinanderfinden, das Eine ohne das Andere gar nicht existieren kann und warum auch ein Projektmanager nicht um Mathematik herumkommt.

Schwere Abhängigkeit: Ohne Prozess kein Projekt

Jedes Unternehmen, ganz egal wie klein es auch sein mag, operiert auf der Basis von Prozessen. Anfangs mag dies den Handelnden nicht einmal bewusst sein; die Arbeit wird einfach erledigt. Je stärker eine Organisation allerdings wächst, desto öfter wiederholen sich Vorgänge, werden irgendwann zur Routine und final zu einem Prozess.

Dabei mag es sich um relativ einfache Angelegenheiten handeln, wie etwa das Erstellen eines Angebotes oder um hochkomplizierte wie die Entwicklung eines neuen Produktes – wichtig ist, dass sie das Fundament bilden, auf dem ein Unternehmen steht.

Wächst dieses Unternehmen nun weiter, stößt es früher oder später an die Grenzen dessen, was lineare Prozesse leisten können; zu komplex ist die nächste Herausforderung, zu viele Faktoren spielen eine Rolle und greifen ineinander. Die Organisation steht vor ihrem ersten Projekt.

Beispiel gefällig? Brauen wir Bier!

Denken wir uns zur Veranschaulichung eine kleine Brauerei irgendwo im Süden der Republik. Dort produziert man mit viel Liebe Bier nach dem deutschen Reinheitsgebot und verkauft es inzwischen ziemlich erfolgreich in allen sechzehn Bundesländer. So erfolgreich sogar, dass das kleine Team überlegt, seine Fühler auch in die Nachbarländer auszustrecken.

Dass bei diesem Vorhaben jede Menge Arbeit zusammenkommt, bedarf wohl keiner ausführlichen Erläuterung: Die Produktionskapazität muss erhöht und die Logistik ausgebaut werden, Zoll- und Rechtsformalitäten wollen ebenso bedacht sein, wie die Vertragsverhandlung mit örtlichen Vertrieben. Obendrauf kommt außerdem die gesamte Lokalisierung – wer Bier in Frankreich verkaufen möchte, sollte auch seine Flaschen auf Französisch etikettieren.

Unzählige kleine Aufgaben also, bei denen es sich einzeln betrachtet zwar stets um einen Prozess handelt, die allerdings perfekt zusammenlaufen, budgetiert und in einem funktionierenden Zeitplan organisiert werden müssen. Ein hochkomplexes, einmaliges und risikobehaftetes Unterfangen also und damit höchste Zeit für den Auftritt unseres Projektmanagers.

Denn er oder sie weiß genau, wie er die einzelnen Fäden der Expansion organisiert und in perfekter Harmonie zusammenlaufen lässt. Wohlgemerkt, jeder Faden ist weiterhin ein Prozess, aber ein Projektmanager verknüpft sie miteinander und webt aus ihnen den Stoff, der in unserem Beispiel Expansion heißt. 

Ganz ohne Prozesse allerdings stünde unser Meisterweber ziemlich ratlos dar, denn wo kein Prozess, da kein Projekt.

Achtung, Mathe: Projektmanagement leistet noch mehr

Projektmanagement ist also die große Klammer, die alle Prozesse zusammenhält und zu einem großen Ganzen verbindet. Allerdings sind wir damit noch nicht am Ende dessen, wie Prozess und Projekt ineinandergreifen. Sie erinnern sich noch an das Distributivgesetz aus dem Mathematikunterricht der fünften Klasse?

Sei p ein Projektmanager, ein Projekt und a1, a2, a3, …, an Prozesse. 
Dann gilt: 

Projektmanagement Formel

Oder weniger poetisch: Projektmanagement sorgt nicht nur für das optimale Zusammenspiel aller Prozesse und verbindet diese zu einer Einheit. Gleichzeitig kümmert es sich auch um die projektrelevanten Belange jeder einzelnen Fachabteilung.

Im Klartext bedeutet das, ein Projektmanager zeichnet sich ebenfalls dafür verantwortlich, dass jeder Prozess nach den Projektvorgaben ablaufen kann. So gibt er etwa benötigte Ressourcen frei, organisiert Teams, weist neue Aufgaben zu und ist zur Stelle, wenn eine Prozessmannschaft auf unvorhergesehene Schwierigkeiten stößt.

Ja, Projektmanager sind schon echte Superhelden. Allerdings…

Symbiose und Kryptonit: Auch ein Projektmanager kann nicht alles

Falls Sie nicht bewandert sind in der Mythologie US-amerikanischer Superhelden-Comics: Kryptonit ist ein fiktives, grünleuchtendes Mineral, das Superman schlagartig all seiner Kräfte beraubt. Und genau wie der Mann aus Stahl hat auch ein Projektmanager seine Schwachstelle: Schlechtes Prozessmanagement.

Denn damit sich all die unterschiedlichen Prozesse, aus denen sich ein Projekt zusammensetzt, überhaupt sinnvoll organisieren lassen, muss der zuständige Projektmanager diese zunächst sichten, verstehen und verinnerlichen. Erst, wenn er einen umfassenden Überblick über die Arbeitsweise und -kultur einer Organisation erhält, kann er mit seinem Job loslegen.

Dass es im Umkehrschluss ziemlich hinderlich ist, wenn Prozesse nicht klar worden organisiert sind, sich niemand für bestimmte Vorgänge verantwortlich fühlt, eine entsprechende Dokumentation fehlt – kurzum, keine Prozesskultur gelebt wird –  liegt auf der Hand.

Denn das Zusammenspiel von Prozess und Projekt funktioniert nicht nur in eine Richtung. Vielmehr ist es eine Symbiose. Je gründlicher die Vorarbeit der Prozessmanager, desto effizienter kann ein Projekt angegangen werden. Und genau wie einzelne Prozesse durch die Arbeit eines Projektmanagers an Effektivität gewinnen, profitiert dieser von reibungslos ablaufenden, eindeutig durschaubaren Prozessen.

Um als Beispiel noch einmal unsere Fußballanalogie aus dem vorangegangenen Kapitel heranzuziehen: Stellen Sie sich vor, ein Cheftrainer beginnt mit seiner Arbeit in einem neuen Verein. Allerdings kann der Fitnesscoach ihm keine Leistungsdaten präsentieren, der Torwarttrainer hat vergessen, ob sein Keeper links oder rechts besser hält und der Leiter der Abteilung für Lizenzspieler ist sich nicht sicher, ob er den neuen Stürmer für den Europapokal nominiert hat.

Klingt nach Chaos? Ist es auch. Solche Vereine finden sich meist schnell im Abstiegskampf wieder und Projekte, die auf einem mangelhaften Prozessfundament aufbauen, können sie gleich abschreiben. Dort muss zunächst Ordnung ins Prozess-Wirrwarr gebracht werden, bevor an einen Projektstart überhaupt zu denken ist.

Am runden Tisch: Stakeholder Management

Allerdings: selbst wenn Prozesse optimal organisiert und dokumentiert wurden, fehlt ein letzter Baustein, um für die perfekte Symbiose zwischen Projekt und Prozess zu sorgen. Kommunikationsstrukturen müssen etabliert und alle Beteiligten abgeholt und auf das gleiche Informationslevel gebracht werden. Eines der wichtigsten Instrumente hierfür ist das Stakeholder Management.

Was das ist? Nun, ein Stakeholder bezeichnet im Poker alle Spieler, die in der laufenden Runde einen Einsatz auf dem Tisch liegen haben. Übertragen auf das Projektmanagement sind also alle Personen gemeint, die ein berechtigtes Interesse am erfolgreichen Abschluss des Projektes besitzen.

Dieser Kreis kann sich aus den unterschiedlichsten Gruppen zusammensetzen. Dazu gehören natürlich Unternehmensführung und Abteilungsleiter. Außerdem projektverantwortliche Mitarbeiter und Teamführer. Allerdings oft auch Kunden oder externe Dienstleister.

Erst wenn alle Interessensgruppen wissen, welche Aufgaben auf sie zukommen, beziehungsweise sie ihre Anforderungen und Erwartungen an das Projekt unmissverständlich formuliert haben, kann eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen allen Verantwortlichen überhaupt gewährleistet werden.

Bewährt hat sich dabei ein Vorgehen in vier Schritten:

  1. Identifikation: Wer sind die Stakeholder?
  2. Interessen: Wie stehen sie zum Projekt? Was erwarten oder befürchten sie?
  3. Zugang: Wie erreiche ich den jeweiligen Stakeholder und wie bringe ich ihn mit den anderen zusammen?
  4. Umsetzung: Nachdem alle relevanten Informationen gesammelt wurden, muss der Stakeholder-Plan natürlich in die Tat umgesetzt werden.

Wie so häufig im Projektmanagement ist effiziente Kommunikation als von ausschlaggebender Bedeutung. Um ein letztes Mal unseren virtuellen Cheftrainer zu bemühen:

Noch vor der ersten Trainingseinheit setzt der neue Coach sich hoffentlich mit allen für seine Arbeit relevanten Menschen an einen Tisch. Dazu gehören natürlich seine Co-Trainer und der Vereinsvorstand; auch der Teamarzt, die Verantwortlichen für Spielertransfers und der Kapitän seiner Mannschaft. Vielleicht ist sogar ein Vertreter des Fanclubs eingeladen.

Gemeinsam werden Daten gesammelt, Zuständigkeiten geklärt, Erwartungen besprochen und die Ist-Situation analysiert. Erst so kann einvernehmlich das Saisonziel formuliert werden. Alle Verantwortlichen befinden sich abschließend auf dem gleichen Stand, fühlen sich in das Projekt integriert und sehen ihre Wünsche berücksichtigt. Einem reibungslosen Zusammenspiel zwischen Prozess- und Projektmanagement steht nun nicht mehr viel entgegen.

Harmoniebedürftig: Unser Fazit

Um das Gesagte also in wenigen Sätzen zusammenzufassen: Projekt und Prozess können nicht unabhängig voneinander existieren. Das Projektmanagement umschließt die Prozesse wie eine große Klammer und schweißt sie zu einem Ganzen zusammen. Umgekehrt baut ein Projektmanager bei seiner Arbeit immer auf sauber ablaufende und gut dokumentierte Prozesse. Projekt und Prozess bilden eine Symbiose, deren Grundlage Sie am besten mit gutem Stakeholder Management erzielen.

Was uns tatsächlich bereits zum Ende dieser Reihe bringt. Wenn Sie sich einen noch tieferen Einblick in die spannende Welt von Projekt und Prozess wünschen oder die Feinheiten des Stakeholder Managements erfahren möchten, lade ich Sie gerne zu einem meiner Seminare ein.

Entweder kurz und knackig oder ausführlich und mit jeder Menge Tipps, Tricks und Insiderwissen für Ihre Organisation. 

An dieser Stelle geht es weiter mit einem neuen Thema. In den nächsten Beiträgen dreht sich alles um Ihr Ressourcenmanagement und wie Sie Ressourcen für Projekte planen und steuern. Schon jetzt freue ich mich auf unser Wiederlesen.

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